Beller Kirche - Mysterium am Wegesrand

Wirich IV. von Daun-Oberstein

In der Urkunde von 1490, die das Bestreben zur Erweiterung der Kapelle der Heiligen Jungfrau zu den Bellen dokumentiert, taucht Wirich von Daun-Oberstein, Herr zu Falkenstein, neben Abt Johann IV. vom Konvent des Zisterzienserklosters Eberbach als Stifter auf. Wer war dieser Wirich, und vor allen Dingen: Was hatte er, aus dem Hunsrück stammend, mit der Beller Kirche vor den Toren Eckelsheims zu tun? Noch verwirrender wird die Überlegung mit dem Bewusstsein, dass mit Daun nicht das Dhaun bei Hochstätten an der Nahe, sondern Daun in der Eifel gemeint ist.

Werfen wir, um die Zusammenhänge besser verstehen zu können, einen Blick in die politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit.

Das große Heilige Römische Reich Deutscher Nation befand sich in einem Prozess der Auflösung. Daran konnten auch die Reformversuche des 15. Jahrhunderts nichts ändern. Das Staatswesen war brüchig geworden, und der Kaiser legte sein Augenmerk in erster Linie auf den Erhalt und die Stabilität seines persönlichen Besitzes. Mächtige Territorien begannen ihre eigene Politik zu betreiben, die ebenfalls zum Ziel hatte, weitere Ländereien dazuzugewinnen, die Machtbereiche zu erweitern und damit Einfluss und Wohlstand auszubauen.

Die Übersichtskarte aus dem Pfalzatlas, die die Besitzverhältnisse um 1450 widerspiegelt, sieht aus wie ein riesiger Flickenteppich: Reichsstädtische Territorien, Grafschaften, Fürstentümer, Herzogtümer, Stifts- und Abteibesitze. Größere und winzige Flecken drängen sich dicht nebeneinander, überlagern sich, sind zentriert oder weit gestreut.

Herrschaftsgebiete nördlich des Donnersbergs um 1450
Die Herrschaftsgebiete um 1450. Die Gemarkung Gumbsheim gehörte z. B. anteilig zu Nassau-Saarbrücken, Nassau-Weilburg, Kurmainz, Baden und Falkenstein. Darüber hinaus bestehende kleinere Besitzungen blieben in der Gesamtgrafik unberücksichtigt.

Eckelsheim mit seinen Ländereien ist aus dieser Karte als einer der Streubesitze der Herrschaft Obersteins zu erkennen. Wahrscheinlich erwarb der Vater Wirichs, Philipp II., diesen Besitz durch seine zweite Ehe mit der Raugräfin Anna von Neu-Bamberg zusammen mit einem Viertel von Wonsheim, der Hälfte von Nieder-Wiesen und (durch Kauf) einem Achtel von Neu-Bamberg. Anderen Quellen zufolge erhielt Wirich von Daun-Oberstein Eckelsheim als Lehen von Kurmainz.

Das Geburtsdatum Wirichs IV. ist nicht eindeutig überliefert. In der Literatur schwanken die Angaben von 1401, dem Jahr der Vermählung seiner Eltern, bis 1420. Am wahrscheinlichsten ist das Jahr 1414, da er beim Tode seines Vaters 1432 dessen Erbe antrat und bereits volljährig gewesen sein musste, „wurde er doch in diesem Jahr von Herzog René I. von Lothringen reichlich belehnt, ohne dass dabei ein Vormund mitgewirkt hätte.“

Diese Zuwendung kam nicht von ungefähr. Schließlich kämpfte Wirichs Vater für jenen René (von Anjou) bei der Vaudémentschen Fehde um die Nachfolge im Herzogtum Lothringen. Wenn auch siegreich, so erlag Philipp II. bald darauf den Blessuren, die er sich auf dem Schlachtfeld zugezogen hatte. An den tapferen Ritter erinnert noch heute ein Epitaph in der Idar-Obersteiner Felsenkirche. Die eingemauerte Abdeckplatte des ehemaligen Hochgrabes zeigt ihn stolz mit Rüstung und Schwert.

Doch zurück zu Wirich IV. Für viel Verwirrung sorgt er schon deshalb, weil er zuweilen auch als Wirich VI. bezeichnet wird. Die damaligen Herrscher haben sich zu ihren Lebzeiten nicht selbst „nummeriert“. Das übernahmen erst später die Historiker, zum Teil etwas voreilig, zumal wenn die Stammfolge nicht eindeutig zu übersehen war. Der jüngste Wirich, der tatsächliche VI., regierte auf Schloss Broich und wurde 1598 von den Spaniern ermordet. „Unser“ Wirich starb am 1. Mai 1501 – ein gesichertes Datum, das im Zweifelsfall Klarheit schaffen kann.

Wirich IV. war in seiner Zeit wohl eine sehr bedeutende und geschätzte Persönlichkeit. In einer alten Familienchronik ist zu lesen: „Dieser Herr ist überaus sinnreich und geschickt gewesen; [er hat] große Ämter bedient; bei Kaiser, König, Chur- und Fürsten in hohem Ansehen [gestanden], [ist] in Ratschlägen und Werken ganz glückselig, daneben sehr reich gewesen.“ In anderen Schriften wird er zudem als tief religiös veranlagte Natur beschrieben, als guter und vorausschauender Familienvater und gerechter Herrscher geschildert, der für seine Untertanen sorgte.

Wie wichtig politisches Kalkül, diplomatische Fähigkeiten und geschicktes Durchsetzungsvermögen sind, musste Wirich gleich nach Antritt seines Erbes erkennen. Noch immer schwelten die alten Erbstreitigkeiten zwischen den Daun-Obersteinern und den alteingesessenen Herren von Oberstein, die sich von ihren Dauner Vettern aus ihrer Herrschaft gedrängt fühlten. Nun witterten sie bei dem jungen und unerfahrenen Regenten die Möglichkeit, verlorene Rechte zurückzugewinnen. Wirich konnte sich jedoch letztlich behaupten und seinen Besitz bestätigen lassen. 1435 machte er sich zum alleinigen Inhaber der Herrschaft Oberstein, indem er die noch Besitzansprüche stellenden Verwandten ausbezahlte.

Zur Erweiterung und zur Stärkung des eigenen Vermögens war im Mittelalter das Heiraten eine durchaus übliche Gepflogenheit. Wirich von Daun-Oberstein nahm 1440 die Gräfin Margarethe von Leiningen-Hardenburg zur Frau. Sie brachte zwar keine Ländereien, aber eine Mitgift von 3000 Goldgulden (1000 Goldgulden wurden direkt bei der Heirat ausgezahlt) in die Ehe und verschaffte Wirich einen nicht unbeträchtlichen Zuwachs an Ansehen, da das vorderpfälzische Grafenhaus dem hohen Adel angehörte. Mit ihr zusammen bekam er 14 namentlich nachweisbare Kinder. Deren Werdegang zeigt sich von seiner religiösen Neigung stark geprägt. So wurde z. B. seine Tochter Amöna Fürstäbtissin in Essen, Petronella stand dem Konvent in Neuss vor, Agnes war Äbtissin in Köln, Anastasia und Irmgard waren Nonnen in Boppard, Ludwig wirkte als Domherr in Köln und Philipp wurde schließlich Kurfürst und Erzbischof in Köln. Nicht nur das Auskommen seiner Kinder, sondern auch seine Beziehungen zur Kirche waren somit abgesichert. Die Söhne Melchior und Emich waren für die weltliche Nachfolge bestimmt.

1456 kaufte Wirich IV. die Hälfte der Herrschaft Falkenstein im Nordpfälzer Bergland und verpfändete dafür sogar kurzfristig einen Teil seines Obersteinischen Besitzes. Gleichzeitig legte er in dem Vertrag mit Wilhelm von Virneburg fest, dass sein Sohn Melchior, der damals noch ein Kind war, die Erbtochter Wilhelms heiraten werde und nach vollzogener Hochzeit die zweite Hälfte des falkensteinischen Besitzes an das Haus Daun-Oberstein fallen sollte. Hier zeigt sich Wirich als cleverer Stratege. Die Herrschaft Falkenstein (zur Grafschaft wurde sie erst 1518 ernannt) lag inmitten kurpfälzischen Territoriums. Auseinandersetzungen mit dem stärkeren Nachbarn waren an der Tagesordnung. Ständig mussten neue Übergriffe abgewehrt werden – für Wilhelm von Virneburg eine andauernde, ermüdende Kraftprobe. Sein Besitz war verschuldet, und zudem hatte er keine männlichen Nachkommen, die sein Erbe hätten antreten können. Das Kaufangebot Wirichs, die Aussicht, ihn als starken Verbündeten zu bekommen und durch die Heirat ihrer Kinder den Fortbestand von Familie und Besitz zu sichern, kam dem Falkensteiner Herrscher bestimmt nicht ungelegen. Wirich hingegen hatte seinen Machtbereich auf ein für ihn hochinteressantes Gebiet ausdehnen können.

Das Kernland der Herrschaft Falkenstein lag um den Donnersberg verstreut, aber teilweise auch an der sogenannten Kaiserstraße, eine der wichtigsten Durchgangsstraßen durch den Pfälzer Wald, die schon damals über Kaiserslautern nach Frankreich führte. Einige Streubesitze im Pfälzer Bergland und dem heutigen Rheinhessen gehörten ebenfalls dazu, unter anderem auch die Fähre bei Weisenau. In Bretzenheim an der Nahe, das Falkenstein als erzbischöflich-kölnisches Lehen übertragen war, ließ sich Wirich in späteren Jahren einen freiadeligen Hof erbauen, in dem er öfter wohnte.

Ruine Falkenstein
Burg Falkenstein

Bruder Jakob

Nicht nur die verkehrstechnisch günstige Lage, sondern vor allem Bodenschätze wie Eisen, Kupfer, Silber und Quecksilber machten die Herrschaft Falkenstein für Wirich so überaus bedeutend. Er ließ Gruben und Eisenhämmer anlegen und die Erze selbst verhütten. Die Erzvorkommen waren größer und lukrativer als in der Obersteiner Stammherrschaft und stellten somit eine enorme Einnahmequelle dar. Ebenfalls unter Bergbau-Aspekten können Neuerwerbungen Wirichs wie die Burg Hohenfels auf Imsbacher Gemarkung und das Dorf Kalkofen gesehen werden.

Die heute weltweit bekannte Schmuck- und Edelsteinindustrie Idar-Obersteins geht letztlich auch auf das Engagement Wirichs zurück. Am Weißelberg (Oberkirchen) und am Steinkaulenberg bei Idar wurden nachweislich bereits 1454 Achate gegraben. Italienische Handelsleute kauften vor Ort die Rohlinge auf, brachten sie zur Verarbeitung in ihr Heimatland und boten sie geschliffen, poliert oder graviert zum Kauf oder Tausch an, wenn sie neues Steinrohmaterial abholten. Die Kunst der Steinverarbeitung gelangte so nach Oberstein. Hier drängten sich inmitten schützender Stadtmauern 25 bis 30 dicht ineinander verschachtelte Häuser. Etwa 40 Familien waren hier ansässig, die mehr von Dienstleistungen am Hof als vom kargen Ackerbau lebten. Die Entstehung der ersten Schleifen zur Steinbearbeitung im Idartal brachten daher neue, interessante Erwerbsaussichten mit sich.

Gemeinsam mit dem Wildgrafen von Kyrburg (Kirn) gründete Wirich IV. Bergwerke bei Vollmersbach und Veitsrodt, um dort nach Kupfer graben zu lassen. Möglich wäre, dass Wirichs Interesse an Wonsheim, das ihm ohnehin bereits anteilig gehörte, in direktem Zusammenhang mit den dortigen Erzvorkommen stand. Das im Mittelalter wie auch zu späteren Zeiten heiß begehrte Quecksilber, das nicht nur zur Legierung von Metallen benötigt wurde, sondern auch als medizinisches Allheilmittel Verwendung fand, ließ sich hier u.a. an der Nollkaut finden. Wie der Flurname Nollkaut (Noll = Scheitel, rundlicher Hügel; Kaut = Grube) schon sagt, handelt es sich hierbei um eine Anhöhe. Von Wonsheim aus kommend liegt sie rechts der jetzigen Straße, bevor man nach Hof Iben hinunter fährt.

„Zur leichten Auffindung der Quecksilbervorkommen hat immer wieder deren große Oberflächennähe beigetragen. Die Bergleute waren also fast nie gezwungen, größere Tiefen aufzusuchen, zumal die Erze dort aussetzten oder vertaubten. Ein Glücksfall übrigens, da bei dem überaus starken Wasserandrang in den pfälzischen Gruben – das Problem Nr. 1 der alten Bergleute – die damalige Entwässerungstechnik kaum zu ausreichender Sümpfung (Trockenlegung) in der Lage gewesen wäre.“ Aus alten Akten geht hervor, dass genau diese Schwierigkeit den Bergmännern des 18. Jahrhunderts in einem neu getriebenen Stollen der Nollkaut zu schaffen machte.

Ein noch schwerwiegenderes Problem ergab sich durch die Tatsache, dass Quecksilber und dessen Gewinnung eine äußerst giftige Angelegenheit war (und ist) und die Wiesen im Appelbachtal sowie das Flüsschen mit seinem damals großen Fischreichtum nahe dran waren, verseucht zu werden. Auch die Bergleute selbst, die beim Verhütten mit bloßen Händen arbeiteten und die giftigen Dämpfe einatmeten, zeigten typische Vergiftungssymptome wie Zahnausfall und Bewegungsstörungen. Also keine heile Welt der emsig schaffenden, durch Bergwerksverordnungen abgesicherten Bergleute – sie mussten die kostbaren Bodenschätze mit körperlichem Einsatz und vielen gesundheitlichen Einbußen dem Untergrund entreißen.

Eingang zu einem Stollen
Stolleneingang an der Teufelsrutsch

Mit wachem Auge entdeckt man noch heute im Gebiet nordwestlich von Alzey Überreste von Schürfungen und einige in den Berg getriebene Stollen wie z. B. den an der Teufelsrutsch. Aus dem Mittelalter sind viele kleine Gruben bekannt, u. a. bei Erbes-Büdesheim, Nack, Nieder-Wiesen (das bekanntlich Wirich zur Hälfte gehörte), Ober-Wiesen und vor allem bei Daimbach/Mörsfeld. „Der sogenannte ‚Pfälzer Sattel’, eine markante geologische Einheit, die sich über das ehemals kurpfälzische Gebiet hinaus erstreckte, hat durch seine Bodenschätze immer wieder den Bergmann angelockt. Jahrhunderte lang stand das Quecksilber im Vordergrund.“

Bei der vorausschauenden und strategisch cleveren Art Wirichs ist es durchaus denkbar, dass er auch in Wonsheim sein bergmännisches und wirtschaftliches Know-How einsetzen wollte (oder sogar eingesetzt hat) und daran dachte, von hier aus sein „montan-unternehmerisches“ Engagement weiter auszuweiten.

Auch Kurpfalz besaß zu Wirichs Zeiten Herrschaftsansprüche in Wonsheim. So kam es über Jahre hin immer wieder zu Querelen und Besitzstreitigkeiten. Aufgewiegelt durch kurpfälzische Bedienstete sollen sich Wonsheimer Bürger sogar geweigert haben, dem Grafen zu Falkenstein zu huldigen. War der Bau der Beller Kirche – dicht an der Gemarkungsgrenze zu Wonsheim – ein genialer Schachzug Wirichs? Ein kleiner Trick, seine Untertanen wie auch die Widersacher zu beeindrucken, sie von seiner Macht und Stärke aber auch von seiner Güte und seinem Wohlwollen zu überzeugen? Das Gotteshaus als (provokanter) Akt der Versöhnung mit seiner weithin sichtbaren Dauerpräsenz?

Schließlich konnte und kann man die Beller Kirche von allen wichtigen Wegrouten aus sehen, egal ob man aus Richtung Bad Kreuznach über den Volxheimer Berg kommt, von Stein-Bockenheim oder Hof Iben aus nach Osten fährt, die Siefersheimer Höhenzüge benutzt oder sich von Wonsheim in nördlicher Richtung bewegt – die Beller Kirche taucht immer ins Blickfeld. Nicht umsonst ist das weithin sichtbare Gotteshaus auf vielen alten Straßenkarten als Besonderheit und wichtiger Orientierungspunkt verzeichnet.

Bruder Jakob

Ein ganz anderer Grund für den Bau einer Kirche an diesem Ort könnte für den religiösen, aber auch geschäftstüchtigen Wirich der Wallfahrtsgedanke gewesen sein. Warum nicht mit der Errichtung des Gotteshauses die Danksagung für gute göttliche Fügungen und die Sicherung seines Seelenheils mit der gleichzeitigen Möglichkeit von Nebeneinkünften durch vorbeikommende Reisende oder wandernde Pilger verbinden? So hatte „Wirich 1450 auch an der Stiftung der Eberhartsklause in der Eifel nicht nur thätigen Antheil, sondern verrichtete sogar noch Wunderheilungen in derselben vermittelst Weines, welcher, nachdem von ihm darin Reliquien abgewaschen, er auf die Kranken goss.“ Als tiefreligiöser Mensch, der redegewandt war, sehr überzeugend wirkte und zudem eine große Ausstrahlung besaß, hatte Wirich bestimmt großen Erfolg bei den Gläubigen und Hilfesuchenden.

Ob er auch an der Beller Kirche ähnliche Wunderheilungen praktizierte, ist nicht überliefert, aber durchaus möglich.

Zumindest aber gilt Wirich IV. als Erbauer weiterer Kirchen, z. B. der Felsenkirche in Idar-Oberstein. Mit Schrecken denkt man dabei an die weit verbreitete Sage, die Kirche sei als Wiedergutmachung für einen Brudermord entstanden. Zwei Brüder waren in die gleiche Frau verliebt; im daraufhin entbrannten Zweikampf stürzte einer der Brüder aus dem oberen Fenster der Burg. Als Buße ließ der Überlebende die Felsenkirche erbauen. Sollte Wirich ein Mörder gewesen sein? Nein! Die Kapelle stand bereits vor Wirichs Geburt. 1340 wurde sie erstmals erwähnt. Zwei Jahre zuvor gab es tatsächlich einen Mord im Schloss. Wegen Erbstreitigkeiten wurde ein Wirich von Daun (Eifel) von seinem Vetter aus dem Geschlecht derer von Bossel (Oberstein) im Bett erschlagen. Unser Wirich hat jedenfalls nichts mit dieser Geschichte aus dem 14. Jahrhundert zu tun.

1482 erteilte Papst Sixtus IV. die Bewilligung, „daß die alte Kirche vor dem Flecken Oberstein liegend abgebrochen und eine neue in dem Flecken durch Herrn Wirich von Daun, Herrn zu Falkenstein und zu Oberstein gebaut werden möchte.“ Es kann sich hierbei jedoch nur um einen Umbau gehandelt haben, da zwei Jahre später, 1484, das Gotteshaus bereits fertig gestellt war. Dennoch nennt man Wirich den Felsenkirchen-Erbauer, was einerseits zu Missverständnissen führt, andererseits seine Wertschätzung unterstreicht.

Wirich-Bild in der Felsenkirche

Rekonstruiertes Fensterbild von Wirich IV. in der Felsenkirche Idar-Oberstein (Ausschnitt)

Eine Abbildung von Wirich ist in einem der Fenster der Felsenkirche zu sehen. Es handelt sich dabei um die zusammengestückelten Reste des ursprünglichen Fensters, das durch einen herabfallenden Felsen im Jahr 1742 zusammen mit einem Teil des spätgotischen Gewölbes im Hauptschiff zerstört wurde. Lange Zeit waren die Fragmente verschollen, tauchten dann urplötzlich wieder auf und wurden etwas unprofessionell zusammengesetzt, so dass man die Inschrift nur mit Mühe lesen kann: „Wiric(h) vo(n) dune, her® zu falkenstein und zu oberstein, 1482.“ Der Kopf ist dabei die neuzeitliche Ergänzung eines fehlenden Stückes. Eine weitere Abbildung von Wirich, zusammen mit seiner Frau Margarete, ist im westlichen Teil des Kölner Doms zu finden. […]

Wirich-Bild im Kölner Dom
Fensterbild von Wirich IV. und seiner Frau Margarete im Kölner Dom

Als Bauherr trat Wirich auch in Verbindung mit dem Obersteiner Schloss auf. Unter ihm wurde es zu einem ansehnlichen Wohnschloss umgestaltet. Über dem ursprünglichen Eingangsportal des Torhauses in der Südwestfront ist „ANNODMI 14 W 75“ zu lesen (W steht für Wirich). Einen Großteil des Jahres konnte er sein Schloss nicht genießen. Er war ein, im wahrsten Sinne des Wortes, sehr „umtriebiger“ Zeitgenosse, der sich pflichtbewusst um seine Ländereien wie um seine Untertanen kümmerte oder im Dienste seiner Lehnsherren zu kämpferischen Auseinandersetzungen bzw. als geschickter Diplomat unterwegs war.

Für Adolf von Nassau, den Mainzer Erzbischof, kämpfte er in der Mainzer Stiftsfehde und war maßgeblich an der Eroberung der Stadt beteiligt, die damit ihre Freiheiten verlor und dem Erzstift unterstellt wurde.

Später schloss sich Wirich seinem einstigen Kontrahenten Friedrich dem Siegreichen an, der sich selbst zum Kurfürsten ernannt hatte. Er half ihm im Krieg mit der Stadt Wissenburg, kämpfte an seiner Seite gegen Pfalz-Zweibrücken und Leiningen und erhielt dafür 1470 als Lohn die Stadt Rockenhausen und Imsweiler (übrigens zwei bergbau- und wegetechnisch interessante Errungenschaften, die praktischerweise direkt an seine bisherigen Besitztümer angrenzten). Urkundlich wurde Wirich als besonderer „Rat und Diener“ des Kurfürsten erwähnt. Als Schlichter und Vermittler trat er zwischen dem Trierer Erzbischof Johann II. von Baden und dem Grafen von Sponheim auf. Aber auch viele andere Fürsten griffen gerne auf sein Können als geschickter und fairer Diplomat zurück. 1474/75 unterstützte Wirich Kaiser Friedrich III. dabei, den burgundischen Herzog Karl den Kühnen zur Aufgabe seiner Belagerung der Stadt Neuss zu bewegen. 1486 nahm er bei den Krönungsfeierlichkeiten Maximilians I. teil und war beim Fest­essen zur Tafel geladen. 1490 wird er zum Rat und Kämmerer des französischen Königs Karl VIII. ernannt. 1490 – eine Jahreszahl, die uns wieder an die Beller Kirche erinnert. Möglich, dass der Erweiterungsbau des Gotteshauses auch mit diesem großen Ereignis in irgend einem Zusammenhang steht.

Jedenfalls lässt sich erahnen, dass Wirich IV. politisch äußerst kompetent und wegen seiner Klugheit und starken Persönlichkeit ein gefragter Mann war. Als wäre das alles noch nicht genug, besaß er zudem künstlerisch-poetische Talente. In einem Ehrenbrief von 1462 wird Wirich vom Stein als Dichter genannt, der dem Literatenkreis um die Erzherzogin Mechthild von Rottenburg am Neckar angehörte.

Neben seiner eigenen literarischen Tätigkeit sammelte Wirich wertvolle und bedeutende Bücher und Texte. Er war im Besitz mehrerer kostbarer Handschriften, zum Teil von ihm in Auftrag gegebene Kopien wie beispielsweise ein Werk von Wolfram von Eschenbach. Eine der schönsten Handschriften aus Wirichs Sammlung war ein Lancelot-Zyklus in französischer Sprache. Das Obersteiner Schloss verfügte demnach über eine ausgedehnte Bibliothek mit Originalen und Abschriften, schön bemalten oder bedruckten Büchern, wie sie im ausgehenden Mittelalter in Mode kamen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „unser“ Wirich ein äußerst vielseitig begabter Mensch war, der mit Klugheit, Können, Mut, Einsicht und Vorausschau agierte. Politisch geschickt und taktisch clever gelang es ihm, während seiner Amtszeit seinen Herrschaftsbereich um ein Vielfaches auszudehnen. Er gilt als einer der größten Territorialpolitiker seines Standes und seiner Zeit im mittelrheinischen Raum. Nicht Brutalität und Heimtücke, sondern die faire, kämpferische Einsatzbereitschaft, diplomatische Fähigkeiten, eine starke Persönlichkeit und rhetorische Gewandtheit halfen ihm hierbei und machten ihn zum gern gesehenen Verbündeten und gefragten Vermittler bei Rechtsstreitigkeiten bei Fürsten, Königen und Kaisern. Auch die engen Kontakte zur Kirche und deren Oberhäuptern, seine Gläubigkeit und sein religiöses Handeln sind bemerkenswert.

Der Aufbau von Handelsbeziehungen u. a. mit Italien (Edelsteinindustrie), die Kontakte an den französischen Hof, die „Platzierung“ seiner Nachkommen nach Boppard, Köln, Neuss und Essen lassen seinen Aktionsradius erahnen. Der Reichtum seines Hauses liegt vor allem in Wirichs geschickter Handelspolitik und in seinem Engagement in Sachen Bergbau begründet. Dass ihm bei all dem das Wohlergehen seiner Untertanen am Herzen lag, lässt ihn nicht nur als brillanten Strategen, sondern auch als wohlherzigen Landesvater in die Geschichte eingehen.

Am 1. Mai 1501 starb Wirich IV. von Daun-Oberstein im Alter von etwa 87 Jahren. Für die damaligen Verhältnisse war das eine unglaublich lange Lebenszeit, die er zudem intensiv nutzte. Beigesetzt hat man ihn in der Abteikirche zu Otterbach, einige Kilometer nördlich von Kaiserslautern. Der mächtig Kirchenbau aus der Romanik, zu seiner Zeit der zweitgrößte nach dem Speyerer Dom, galt als Erbbegräbnisstätte des raugräflichen Geschlechtes, dem Wirich mütterlicherseits entstammte. Auch die Daun-Obersteiner hatten seit jeher enge Beziehungen zu den Zisterzienser-Mönchen von Otterbach. Im düsteren Licht der wuchtigen Klosterkirche kann man an der Südwand des Langhauses die steinerne Deckplatte des Familiengrabes finden. Ins heutige Deutsch übertragen lautet die Inschrift: „Hier liegen begraben die wohlgeborenen Wirich, Melchior und Philipp – alle drei von Daun, Grafen und Herren zu Falkenstein und zu Oberstein. Wirich starb am ersten Mai Anno 1501, Melchior den ersten Tag im Herbstmonat Anno 1517 und Philipp, Melchiors Sohn, den fünfzehnten Tag Hornung Anno 1530, deren Seelen Gott gnädig sei. Amen.“

Wer weiß, vielleicht hatte Wirich sogar mit dem Gedanken gespielt, sich in der Beller Kirche beisetzen zu lassen. Sie hätte zwar nicht mit der Größe und dem Bekanntheitsgrad des Otterbacher Gotteshauses mithalten können, bot aber im Gegensatz zu den kalten, meterdicken Mauern des strengen, düsteren Baues der Romanik ein heiter, leicht und lichtdurchflutet wirkendes Gebäude in idyllischer Umgebung. Die „moderne“ Beller Kirche mit ihrer Hanglage, dem (nicht durch Seiten- und Querschiffe untergliederten) Einheitsraum, den hellen Butzenscheiben-Fenstern und der schlichten Ausgestaltung war ein sichtbares Zeichen einer zwar traditionsverbundenen, aber doch neuen Denkweise und hätte daher gut zu Wirich, seinen fortschrittlichen Vorstellungen und seinem zukunftsorientierten Handeln gepasst. Im Jahr 1501 war die Beller Kirche jedoch noch nicht fertiggestellt!

So oder so spürt man seinen „Geist“ in den Mauern, ahnt die Hintergründe und Verbindungen, die Wirich wohl bewogen hatten, hier ein Gotteshaus zu bauen. Und die Fenster der Beller Kirche öffnen den Blick nicht nur in die wunderschöne Landschaft und den weiten Himmel, sondern auch in ein Stück Geschichte, in das Leben und Wirken eines bedeutenden Mannes, der so eng mit diesem Fleckchen Erde verbunden war.

Ruth Hoffmann