Beller Kirche - Mysterium am Wegesrand

Die Eckelsheimer „Kirchenkanne“ von 1566

In einem Schreiben vom 8. Oktober 1913 bot der Alzeyer Antiquar Joseph Klein dem damaligen Bürgermeister der Stadt Alzey, Dr. Heinrich Sutor, der zugleich Vorsitzender des Vereins für vaterländische Natur- und Altertumskunde Alzey war, für dessen Museum ein Exponat zum Kauf an. Er wäre, so schrieb Klein, „in Besitz einer Kirchenkanne gekommen, welche in Eckelsheim an der Ruine (Kirche) Bella Maria gefunden wurde. Diese trägt die Jahreszahl 1546 [sic!] und ist noch ziemlich gut erhalten.“ Als Preis für die „Kirchenkanne“ forderte der Antiquar Klein die seinerzeit durchaus stattliche Summe von 100 Mark.

Gleichwohl bestand seitens des Vereins für vaterländische Natur- und Altertumskunde „reges Interesse“ an einem Erwerb. Dies hatte dem Antiquar zumindest ein Vorstandsmitglied, der Gärtnereibesitzer Jean Braun, dem er das Objekt wohl vorab präsentierte, signalisiert.

Die nachfolgenden Verhandlungen über den Kaufpreis, der als zu hoch erschien, wurden von dem Vereinsvorsitzenden und Alzeyer Bürgermeister überaus geschickt geführt. Vor allem das damalige Hessische Denkmalpflegegesetz diente ihm dabei als Argumentations- bzw. Verhandlungshilfe. Diesem zufolge waren Funde von kulturgeschichtlichem Interesse prinzipiell anzeigepflichtig und durften daher nicht ohne weiteres verkauft werden. Der Vereinsvorsitzende unterbreitete deshalb dem Antiquar Klein den Vorschlag, „die Kanne dem Museum zum Anschaffungspreis nebst Zuschlag der Restaurationskosten“ zu überlassen. Und tatsächlich konnte die Eckelsheimer „Kirchenkanne“ schließlich am 31. Oktober 1913 zur Hälfte des ursprünglichen Preises, d. h. für 50 Mark, für die Sammlung des Alzeyer Museums angekauft werden.

Kichenkanne

Die aufgrund ihres Fundorts bei der Beller Kirche als „Kirchenkanne“ bezeichnete Zinnkanne (Höhe: 33cm; Gewicht: 1,95kg; Inv. Nr. 239) gehört zu einem Typus, der in der Fachliteratur als sog. „Stegkanne“ firmiert.

Charakteristisch für diesen Kannentyp ist der aus Stabilitätsgründen notwendige, namengebende Steg, der die lange, sechskantige, mit einem Klappdeckel verschlossene Ausgussröhre der Kanne mit dem Gefäßkörper verbindet. Der Steg ist bei der Eckelsheimer Kanne als Arm gearbeitet, der mit seiner Hand die Ausgussröhre hält. Ein faltenreicher, gepuffter Ärmel umkleidet den Arm.

Kichenkanne

Solche Stegkannen wurden insbesondere in der Schweiz hergestellt, wobei sich in Bern und im Berner Oberland das Hauptproduktionsgebiet für diesen Kannentyp befand. Ob die Eckelsheimer Kanne tatsächlich ein Schweizer Import ist, scheint jedoch aus mehreren Gründen fraglich zu sein. Zum einen kommen Stegkannen in der Schweiz erst seit dem 17. Jahrhundert vor. Die Eckelsheimer Kanne ist jedoch wesentlich älter. Sie stammt bereits aus dem 16. Jahrhundert. Eine auf dem mit einem floralen Schmuckrelief verzierten Henkel angebrachte Datierung nennt die genaue Jahreszahl: 1566.

Zum anderen zeigen sich aber auch in der Formgebung Unterschiede zum Typus der Schweizer Stegkannen. So ist der Kannenfuß höher als bei den Schweizer Kannen und weist keinen durch Wülste oder Kanten abgesetzten Standring auf. Der Bauch der Eckelsheimer Kanne wirkt gedrückt, während er bei den Schweizer Stegkannen eher birnen- oder kugelförmig ist. Zudem fehlt dem Deckel der Kanne, der mit einer geschweiften Daumenruh versehen ist, die für die Schweizer Kannen charakteristische Bekrönung mit einem – häufig eichelförmigen – Knauf oder Knopf. Unterschiede bestehen schließlich auch in Bezug auf die Form des Henkels, der bei der Eckelsheimer Kanne nicht den für die Schweizer Stegkannen typischen Knick besitzt.

So fraglich mithin die Provenienz der in Eckelsheim gefundenen Kanne erscheint, so unklar ist auch ihr Verwendungszweck. Die eingeführte und tradierte Bezeichnung „Kirchenkanne“ sagt zwar etwas über den Fundort aus, nichts jedoch über die Nutzung der Kanne. Eine Verwendung für kirchliche Zwecke, z. B. als Abendmahlskanne, mag auf Grund des Fundorts zwar naheliegend sein, muss letztendlich aber offen bleiben.

Möglicherweise trägt aber wenigstens dieser knappe Bericht über die Eckelsheimer „Kirchenkanne“ dazu bei, die Fundumstände Anfang des 20. Jahrhunderts zu klären. Vielleicht existieren ja in der einen oder anderen Eckelsheimer Familie mündliche (oder schriftliche) Überlieferungen, die vom damaligen Fund und seinem Finder berichten. Über diesbezügliche Informationen wäre das Museum der Stadt Alzey erfreut und dankbar.

Denn zumindest eines ist sicher: Die Eckelsheimer Zinnkanne aus dem Jahr 1566 gehört zu den raren und nicht nur deshalb besonders wertvollen Stücken des Alzeyer Museums aus dem 16. Jahrhundert.

Rainer Karneth